Gemälde von Kyoko Watanabe und Skulpturen von Hella Meyer-Alber
25. März bis 30. April 2022
Laudatio von Rainer Henze, künstlerischer Leiter:
Den Begriff „Ambivalenz“ fand ich sehr passend als Titel für diese Ausstellung. Er kann bedeuten: doppelwertig, gegensätzlich, widersprüchlich, zwiespältig, in Spannung befindlich.
Die zweidimensionale Malerei befindet sich per se in einer gewissen Spannung zur dreidimensionalen Skulptur. Selbst wenn es um die gleiche Thematik geht. Aber in dieser Ausstellung kommt noch dazu, dass Kyoko Watanabe fast nur gegenständlich-figürliche Inhalte bearbeitet und Hella Meyer-Alber nur abstrakte Werke schafft.
Ein weiterer Grund, der mich zu dieser Titelwahl geführt hat ist, dass es auch innerhalb der beiden Werkgruppen Ambivalenzen gibt. Das möchte ich im Verlauf meiner Einführung erläutern.
Kyoko Watanabe ist in einem buddhistischen Tempel in der Stadt Shimonoseki in Japan aufgewachsen, der in einem ländlichen Bezirk mit wunderschönen Wäldern und Stränden liegt und einen Wasserfall im Hof hat. Sie hat später in Tokio Philosophie studiert und ab 2012 in London – und später in Polen – die freie Malerei studiert. Außerdem hat sie bei einem berühmten Meister in Shimonoseki eine Ausbildung im Töpfern erhalten.
Die Gemälde Kyoko Watanabe sind – Zitat: „oft gekennzeichnet durch ihre furchtlosen Pinselstriche auf der Suche nach Freiheit oder eine einzigartige Farbauswahl, die das Licht und die Dunkelheit in ihr selbst darstellen.“ Sie werden diesen Gegensatz – die Ambivalenz – zwischen hellen, farbenfrohen und düster wirkenden Gemälden hier unschwer feststellen können.
„Ich male frei, beginne meistens ohne Plan. Manchmal konzentriere ich mich stark auf Farben und manchmal auf Formen. Wenn ich anfange, etwas Neues zu malen, fühlt sich der erste Strich an, als würde ich in einen Wasserfall eintauchen. (…). Das Mischen von Farben ist wie das Erzeugen von Licht und Dunkelheit oder Wärme und Kälte. (…) Ich weiß sehr gut, dass ich die Freiheit habe, alles in allen Farben zu malen und die Freiheit zu zerstören und zu übermalen. (…). Ohne Malerei wäre mein Leben viel härter.“
Hella Meyer-Alber hat als Kind in ihrer Heimatstadt Lahr ein Bildhauersymposium erlebt und ist seitdem „fasziniert von der dreidimensionalen Kunst“. „Ein Kunstwerk, dass man draußen, im Tageslicht betrachten, berühren und umrunden kann, hat eine unmittelbare Wirkung. Es wirkt natürlich, obwohl es Kunst ist.“ steht u.a. auf ihrer Internetseite. Sie hat eine handwerkliche Steinbildhauerlehre und eine künstlerische Ausbildung an einer Bildhauerschule in der Schweiz absolviert, um ihre Faszination angemessen umsetzen zu können. Seit 25 Jahren arbeitet sie in ihrem Atelier mit Stein und Holz. Der Stein ist das ursprünglichste Material der Bildhauerei und seine meist dezente Farbigkeit stellt die Entwicklung der Form in den Vordergrund. Die Bearbeitung des Steins ist aufwendig und erfordert einen hohen körperlichen Einsatz bei der Formgebung und ein großes Ausdauerpotential bei der abschließenden Oberflächen-bearbeitung, des Schleifens und Polierens. Holz wirkt dagegen auch schon in unbearbeiteter Form als angenehm und warm und beeinflusst durch Wachstum, Farbigkeit und Maserung die Formgebungsmöglichkeiten des Bildhauers. Außerdem wartet das gewachsenen Material Holz – stärker als der Stein – mit Überraschungen während der Bearbeitung auf. Es bilden sich Risse, störende Verfärbungen oder Maserungsverläufe, erfordern eine spontane Änderung der beabsichtigten Planung. Hella Meyer-Alber hat den meisten, der hier ausgestellten Holzskulpturen durch intensive Aushöhlungen eine gewisse, fast schwebende Leichtigkeit verliehen. So entstand jeweils ein ambivalentes dunkles Innen und ein helles Außen. Allerdings gibt es bei diesen Skulpturen auch Durchbrüche, die eine Verbindung zwischen Innen und Außen ermöglichen.
Bei der Positionierung der Arbeiten haben wir – trotz Ambivalenz – natürlich auch versucht, Dialoge zwischen Skulpturen und Gemälden zu initiieren.

HNA Kassel, 22.04.2022